Arosa Trailrun AT46 von Andreas Portner

Die Vorgeschichte

Im Jahr 2020 ist läuferisch alles anders. Covid-19 pflügt die Laufagenda komplett durch, und kennt auch bei unseren Montag-Mittwoch-Trainings kein Pardon. Einfach zu Hause sitzen ist keine Alternative, und so beschliessen wir Vier, unsere Trainings regelmässig zur gewohnten Zeit weiterzuführen. Die Wochenenden sind aber trotzdem voller Wettkampf-Löcher. Zum Glück hat Christoph die rettende Idee: Wir könnten ja die Schnebelhorn Halbmarathonstecke ablaufen. Die Männer sind von der Idee sofort begeistert. Bei den Frauen löst das Unbehagen und grössere Diskussionen aus: Was ist, wenn jetzt im Mai plötzlich ein Schneesturm aufkommt? Und wir uns verirren (im Züri Oberland wohlbemerkt)? Die Liste lässt sich noch beliebig fortsetzen. Nach ein paar schlaflosen Nächten willigten die Damen aber trotzdem ein, und beginnen die neue läuferische Freiheit zu geniessen. Und so bietet der Lockdown auch Chancen, Neues auszuprobieren. Es folgen noch viele weiter Läufe im schönen Appenzeller Land.

Auf dem Kronberg

Mir als alter Bergsteiger machen die Trail-Läufe so sehr Spass, dass ich mich kurzentschlossen für den Arosa Trailrun AT46 anmelde. Warum der Lauf AT46 heisst, obwohl er eigentlich gute 54km lang ist, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Ich vermute für den Veranstalter zählen die 8km Teerstrecke zwischen den Bergen nicht und so wird abgerundet. Bis jetzt habe ich nur ein paar einfachere Bergläufe in Strassenschuhen bestritten, wie z.B. den Jungfrau Marathon. Da geht’s im Pulk die Autobahn rauf, und bequem mit der Bahn runter. Der Arosa Trailrun ist eine neue, für mich unbekannte Liga: Die 3’400 Höhenmeter müssen nicht nur erklommen, sondern auch zu Fuss vernichtet werden. Zwischen den spärlichen Verpflegungsständen heisst es autonome Eigenverpflegung. Auch die obligatorische Pflichtausrüstung ist eindrücklich, und im Gegensatz zu den Waffenläufen, wo das Gepäck reine Folklore ist, auf dem Trail durchaus sinnvoll.

Pflichtausrüstung

Zudem bin ich noch nie länger als 42km am Stück gelaufen. Um die Laufzeit abschätzen zu können, durchforste ich vergangene Datasport-Ergebnisse. Ich beginne bei den gleichaltrigen Säcken in der Finisher-Liste in der Mitte. Platz 7 von 14; so in etwa meine Liga. Ich finde da einen Läufer aus La Punt, seine Zeit 9h 32min. Interessant seine Ergebnisse: Oha Swissalpine T88, Eiger Ultra, Swissalpine T127 ujujui, im Jahr 2017 Swissalpine T214 Autsch! Züri Marathon in 3:16 Riesenautsch! Die Liste wird immer eindrücklicher und mein Gesicht länger! Die Züri Zeiten sind auf Christine Niveau! So schnell bin ich wenn überhaupt erst im nächsten Leben… Nachdem ich den ersten Schock verdaut habe, schaue ich im Wettkampfreglement die Cut-off Zeiten an. Es stehen 13h für den Lauf zur Verfügung. Meine Ziele sind demnach: Keine Risiken eingehen und kein Unfall/Verletzung einfangen. Zieldurchlauf innerhalb 13h, und unterwegs bei den verschiedenen Kontrollposten nicht aus dem Rennen gepflückt werden. Alles was dazukommt ist bei diesem Lauf-Neuland ein Goody.

Start

Das Rennen

12. September 4:30. Ein prüfender Blick aus dem Hotelfenster zeigt schönen Sternenhimmel und für diese Höhe ungewohnt angenehme Temperaturen. Nach der obligaten «vor-der-Lauf-Dusche» gehe ich ins Frühstückzelt, welches der Veranstalter eigens für den Trial aufstellt hat. Hier gibt’s ein wunderbares Buffet, gratis für alle Teilnehmer. Ich geniesse das riesige Angebot, und esse für einmal ungewohnt viel vor einem Lauf, denn das wird ein langer Tag.

7:15 schlendere ich zum Startgelände und geniesse die entspannte Atmosphäre. Meine Einstellung zur Lage der Nation: Heute kann ich nur gewinnen und hab nix zu verlieren. Ich freue mich riesig auf den bevorstehenden Lauf. Alles Neuland, von der Spielart, Gelände bis zur Distanz. Egal wie weit ich kommen werde; ich erreiche heute eine neu PB! Ich wärme die Gelenke und Bänder auf und trabe langsame 200m. Das muss reichen; ja keine Körner zu viel verschwenden.

7:25 ist das ein gutes Omen? Ich habe schon einen Stein im Schuh und noch keinen Laufmeter auf der Garmin Uhr! Schnell Schuh ausziehen und wieder neu satteln.

7:30 Startschuss. Endlich geht es los. Es sind ganze 98 Personen am Start, die sich auf die 54 km verteilen werden. Kein Gedränge am Start, lockeres Loslaufen und nach 50m geht es schon den Berg hoch. Jeder lässt dem Anderen genug Platz und Keiner drängelt. Zwischendurch ein kurzer Schwatz, wenn es die Puste erlaubt.

Weisshorngipfel

Das erste Ziel ist der Weisshorngipfel auf 2’624m, welcher nach 7.6 km Lauf bez. Gehdistanz erreicht ist. Nach diesen ersten 900 Höhenmeter zum Aufwärmen geht auch gleich wieder runter und rüber zum nächsten Berg, dem Hörnli. Ich geniesse die schöne Aussicht und mache wann immer ich Lust habe Fotos von der schönen Kulisse.

Älplisee

Auf Umwegen geht’s zurück nach Arosa, wo nach 21km die erste Zeitlimite wartet. Ich erreiche diese wichtige Marke rund 70min vor der Zeit. Also bis jetzt alles im grünen Bereich. Wie an jedem heutigen Verpflegungsposten werfe ich 2 Becher, ein Riegel und ein Gel ein, und lasse mir je 5dl Wasser und Iso in meine Beutel abfüllen. Zudem ein Gel für Unterwegs. Innerhalb einer Minute ist mein Pitstop erledigt und ich trabe weiter.

Mondlandschaft nach der Maienfelder Furgga

Der Weg geht um die Häuser durch Arosa, zu den Stauseen und weiter in die Pampa. Auch eine neue Erfahrung: Zwischen dem Verpflegungsposten und der Pampa laufe ich gefühlte 30min ganz alleine und sehe nirgends einen weiteren Läufer. Immer schön aufpassend, dass ich ja keine Wegmarke übersehe. Nun sind die nächsten rund 1000 Höhenmeter dran in Richtung Maienfelder Furgga. Dort steht der begehrteste Verpflegungsposten des heutigen Tages. Dieser ist so weit ab von jeglicher Zivilisation, dass der Posten am Morgen per Helikopter mit Personal und Wasser bestückt wird. 1h55min nach Arosa bei km30 erreiche ich diesen Kleinstposten, wo es limitiert pro Teilnehmer einen Liter der heiss begehrten Flüssigkeit gibt. Wie übrigens am jedem Posten wird penibel Teilnehmer Buchhaltung geführt, und jeder per Hand auf der Liste abgehakt. Sicherheitsmässig top, falls mal jemand unterwegs verloren geht, so wissen die Rettungskräfte wo mit der Suche beginnen. Mein Vorsprung zur Zeitlimite beträgt nun 104min. Also noch grüner als vorher; der Trend stimmt.

Tiejer Fürggli

Frisch gestärkt geht’s durch schöne Mondlandschaften zum nächsten Pass. Power Walking ist meine Stärke; umso länger und steiler, umso besser für mich. Da kann ich jeweils Zeit aufholen und Andere überholen. Sobald es runtergeht, sieht die Welt wieder anders aus; da fliegen die 45kg Frauen leichtfüssig an mir vorbei und sind nach wenigen Kurven schon aus meinem Sichtfeld entschwunden. Der schönste Verpflegungsposten meiner bisherigen Laufkarriere steht bei der Chörbschhornhütte. Knuffig und fast schon ausserirdisch steht er auf einer Anhöhe. Auch dieser Posten, per Heli bestückt und einfach top.

Chörbschhornhütte

Nach der Hütte noch eine kleine Zusatzschlaufe zum Gipfel, und dann geht’s auf schönem Trail mehrheitlich höhehaltend und in Richtung Strelapass. Auf dieser rotweissen Bergwegpassage sind einige Wanderer und gelegentlich auch Biker unterwegs. Obwohl ich der Meinung bin, Biker seien auf Bergwegen fehl am Platz, klappt das Nebeneinander gut und beide Parteien nehmen Rücksicht aufeinander. Keine Regel ohne Ausnahme: So der gefühlte 10 Biker ist da anderer Meinung, und denkt wohl, Wanderwege gehören alleine den Biker und nicht dem Fussvolk. Vor mir sehe ich wie sich Wanderer mit einem Sprung zur Seite in Deckung begehen, wegen des besagten Rowdy-Bikers. Danach fährt er mit geschätzten 20 km/h auf mich zu und macht keine Anstalten an seiner Fahrweise etwas zu ändern. Nach gut 7h Laufzeit bin ich so richtig im Saft, mit Adrenalin geladen bis über beide Ohren, und freue mich über jede Abwechslung. Ich trabe demonstrativ auf dem Wanderweg weiter, während er mich voll anfährt. Schade kommt er nicht zu Fall, ich hätte es ihm gegönnt. Er ruft mir schöne Wörter nach die mit Ar… beginnen zu. Ich drehe mich nicht einmal um und sage kein Wort, ich grinse nur auf den Stockzähnen. Ich freue mich über die 8 Jahren Karate, die mir einen sicheren Stand bescherten, und geniesse weiterhin die schöne Natur.

In Richtung Strelapass, rechts Davos

Bei km 41 kommt von hinten wieder eine 45kg Frau angeflogen; mit schniefender und triefender Nase. Ich bekomme es mit der Angst zu tun: Hat die womöglich Corona? Was ist, wenn ich sie vorbeilasse und ich in ihrem Abgasstrahl laufen muss? Was ist, wenn sie vor mir den nächsten Verpflegungsposten infiziert? Ich beginne schneller zu laufen, aber trotzdem kommt sie immer näher. Ich rufe nach Hinten: das klingt wie Corona? Sie antwortet: nein ist es nicht! Ich wiederum: dass kann ja jede sagen! Sie in breitem Berndeutsch: Sicher nicht, ich bin Ärztin und bin getestet. Aber wenn ich renne, dann läuft mir immer die Nase! Beruhigt trete bei der nächsten Spitzkehre zur Seite und lassen sie überholen. Ich staune, wie Leichtfüssig Frau Knackfudi durch die Steine hüpft. Bis ins Ziel wird mir die Frau noch fast 9min abnehmen.

Bei km 43 stosse ich ein kurzes Juhui aus; so weit bin ich noch nie gelaufen J Aber schon bei km 43.5 ist fertig lustig. Der letzte grössere Anstieg des Tages. Zwar nur gute 300 Höhenmeter, aber so nach 8h Laufzeit muss nun jeder die grössten Kohlen einwerfen. Nach 5min bin ich wieder in «Andis-Walking-Kampfschritt» und kann so 3 lahmende Herren und eine Frau überholen. Den einen Deutschen habe ich heute schon 3x überholt; bin gespannt wann er mich wieder überholen wird.

Beim km 50 beschwere ich mich das erste Mal virtuell beim Streckenchef, und fluche lautstark durch den Wald. Der Weg geht steil runter wie blöd, und ist durchsetzt mit riesigen Wurzeln und Absätzen. Alles andere als Laufgelände. Ich verbrate hier ganze 32min für 3km!!

Bei km 52 endlich wieder Laufgelände, und zudem der Stausee in Sichtweite. Jetzt geht es die letzten 130 Höhenmeter hoch zum Dorf, dann noch 100m geradeaus. Nach 9h 49min freue ich mich über meinen ersten Ultra-Trail.

Mein Lauf-Video auf Youtube

Fazit

Trail-Läufe machen Spass! Sie sind abwechslungsreich und zudem in den schönsten Gegenden der Schweiz gelegen. Die Muskulatur und das Chassis werden nicht so (über)beansprucht wie bei einem Vollgas-Strassenlauf. Der ständige Wechsel zwischen Auf- und Abstieg, bez. gehen und traben ist weniger belastend, und die Erholungszeit erheblich kürzer als beim Marathon. Und den typischen ab km30 «jetzt-hab-ich-genug» Effekt habe ich hier nicht kennen gelernt. Oder anders ausgedrückt: Wer einmal einen Trail gelaufen ist, der wird sich in Zukunft kaum mehr für einen «Geradeaus-Marathon» motivieren können.

Trail-Läufe sind gut fürs Gehirn und gegen Alzheimer 😉 Auf der ganzen Strecke kann das Gehirn nie in den Ruhemodus geschalten werden. Jede Sekunde muss jeder Schritt geplant und koordiniert werden. Geht es mal kurz durch die Häuser, so ist der Pfadfinder gefragt, um ja nicht von der Strecke abzukommen.

Trail-Läufe machen schnell! Seit ich dieses Jahr vertikal unterwegs bin, gelingt mir praktisch an jedem «In-der-Gegend-Geradeauslauf» eine neu PB. Ich kann mir das nur so erklären: Beim Hochlaufen ist das Herz und die Lunge voll im roten Bereich; das Chassis wird aber nur wenig beansprucht und bekommt keine Schläge. Maximaler Trainingseffekt, täglich möglich, ohne Überlastung des Bewegungsapparates.