Frauenfelder 2019 – Von Vernunft und Unvernunft der Läuferinnen und Läufer, der Bericht von Helden und anderen Verrückten
Es ist der Lauf der Helden, der Verrückten, das Highlight des Jahres, der krönende Abschluss der Saison, der Tag, dem die Mitglieder des LSV Frauenfeld schon lange entgegen gefiebert haben. Es wurde diszipliniert trainiert, gejammert, mit Bangen den Wetterbericht für den Sonntag den 17. November verfolgt, größere und kleinere Verletzungen und Bobolies wegmassiert, oder mit Übungen wegtrainiert. Alle wollen sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen und tun alles, was in ihren Möglichkeiten steht, damit dieser Lauf mit Bravour, Schmerzfrei und mit seiner Wunschzeit absolvieren kann – der Frauenfelder.
Auch dieses Jahr enthielt der Frauenfelder genau die Mischung, die ihn zu dem macht, was er eben ist: ein Jahresereignis, dass man durch nichts ersetzen kann. Für jeden ist was dabei, sei es ein Halbmarathon oder einen ganzen Marathon, in zivil oder im Gwändli. Und es gab Podestplätze, es gab Helden und Verrückte, Vernünftige und – wie könnte es auch anders sein – Unvernünftige. Es gab treue Seelen, die trotz des schlechten Wetters schon um zehn Uhr auf dem Marktplatz standen, nur um nachher nach Hause zu rennen, sich um zu ziehen, um selbst dann in Wil an den Start zu gehen. Es gab Läufergspänli, die nicht laufen konnten oder wollten und in dem nassen Wetter in Weingarten parat standen, trockene Kleider brachten und sogar ein Stück mitrannten, einfach nur um da zu sein. Sie reichten Wasser und Bouillon, sie feuerten die Läufer und Läuferinnen an, sie waren da, komme was wolle. Und noch andere stiegen wasserdicht verpackt aufs Velo und führten die Spitze an.
Schon Wochen, ja Monate vorher galt es Entscheide zu treffen, welche Distanz nun das Richtige für einen ist. Dann kommt das Trainieren im Team oder mit einem Partner oder einer Partnerin. Alles dreht sich um den Frauenfelder, auch der Alltag. Das Fettpolster muss bis zum 17. November noch weg, die Wettkämpfe werden sortiert, damit man an dem Sonntag optimal fit ist. Sollte man sich doch noch neue Schuhe leisten oder reut es einen dann nur, wenn sie im Schlamm unten bei Lommis durch den Dreck müssen? Jetzt ja nicht noch eine Verletzung holen, oder gar eine Erkältung, was in dem düsteren November ziemlich schwierig ist. Die einen holten sich Rat beim Arzt, als das Pech zuschlug, andere bei einer sicheren Instanz: den Mitläufern und Mitläuferinnen. (Diese sagen nämlich mit Garantie, dass man selbstverständlich mit Halsschmerzen, Pfnüsel und Husten gehen kann. „Da got schon no weg, isch ja nüt schlimms!“) Am Samstagabend waren somit alle Entscheide gefällt was die Kleidung (warm und wasserdicht) und das grüne Licht zum Start betrifft. Und los gings, auf den Frauenfelder.
Um zehn Uhr starteten die Waffenläuferinnen und Waffenläufer, vom LSV waren es deren drei. Christoph Lippuner, Andreas Portner und Martin Sigg wagten den Heldenlauf. Um halb elf folgte dann der Start des zivilen Marathons mit zwei LSV Mitgliedern, Ehepaar Widmer trat geschlossen an. (Wenigstens am Start, danach zog er ab!) „Es ist Kopfsache heute in dem Wetter“, meinte ein Waffenläufer vor dem Start und damit hat er recht. Der Halbmarathon nach Wil, der ja eigentlich eine beträchtliche Strecke ist, ist an dem Tag ein Spaziergang. Nichts tut weh, man mag noch gut mithalten, es regnet nicht so fest und so werden die einen kurz vor Wil direkt übermütig und machen dumme Sprüche wie „jetzt hemmers denn jo, got nuno abe!“
Der Start des Halbmarathons erfolgt dann um halb eins, kurz bevor das letzte LSV Mitglied des Marathons in Wil eintrifft. Es reicht grad noch, um ein paar Kollegen und Kolleginnen anzufeuern. Und auch, um anzuhalten, als bei den Lastwagen des Gepäcks ein fleißiger Frauenfelder Primarschüler steht und seine Lehrerin entdeckt. Brav streckt er die Hand aus, begrüsst die Lehrerin auf Hochdeutsch und sein Kollege meint erstaunt: „Isch da e Lehrerin??! Sie renned doch au. Törfed sie denn eifach so aahalte?“ Ein Päusli läge schon drin und weil man man einer Lehrperson sowieso nicht widerspricht ruft der Schüler noch „Sie, bis morn!“ hintennach. Ja, das hofft die Lehrerin auch, es ist noch ein weiter Weg nach Frauenfeld.
Jetzt wird es harzig, für alle. Bei Bronschhofen schon das erste Mus, die vielen Waffenläuferinnen und Läufer haben alles schon tüchtig aufgeweicht und so schlipft man mehr, als das man rennt. Noch lange führt die Dreckspur auf der Teerstrasse bergab, der Regen lässt auch kaum nach und die Kleider werden nass und nässer. Ein langer Tazzelwurm zieht sich gleichmässig nach St. Margrethen, bewundernswert, dass sich kaum eine laufbegeisterte Person gegen den Frauenfelder entschieden hat. In Lommis wird es wie immer zäh, das Feldsträsschen ein einziges Mus und dann hat es erst noch tiefe Pfützen. Jeder Tritt wird zur Herausforderung. Wer zu den Gfrörlis gehört, und das sind sicher einige, spüren langsam die Kälte durch die durchnässten Kleider dringen. Die Energie sinkt und sinkt, ein Ende ist noch nicht in Sicht, jetzt gilt es durchzubeissen. Wie gut sind da die Fans und Gspänlis, die einem Mut machen. Für die Marathonläuferinnen und Läufer kommt nun der Punkt, wo es weh tut, spätestens bei Kilometer 35 ist er da. Die eigenartigsten Sachen schmerzen, zum Bespiel hinten reibt sich der Reisverschluss der Hosentasche und das seit mehr als 30 Kilometern, man ist sicher, dass sich der nun bis zu den Knochen durchgescheuert hat und einem das Blut nur so runterläuft. (Später beim Untersuchen unter der Dusche ist nicht einmal eine rote Stelle zu sehen). Die Sohlen verrutschen und müssen gerichtet werden, der Schuh ist zu eng gebunden und tut nun plötzlich unerträglich weh, von einer Sekunde auf die andere, das nasse T-Shirt reibt sich am kalten Bauch und brennt, im Darm rumpelte es Besorgniserregend und dann gibt es grössere Probleme, das Knie zwickt, die Hüfte schmerzt, irgendwo am Fuss macht sich eine Blase bemerkbar, die Bronchitis meldet sich zu Wort, die mahnenden Ratschläge des Arztes pochen, das Kopfschütteln der Nichtläufer taucht deutlich in den Gedankengängen auf. Es ist jetzt einfach Zeit zum Aufhören! Aber es geht noch weiter, durch Steftturt, bei Matzigen durch den Wald und die schier unendlich lange Strecke hinauf zu den Kamelbuckeln. Au, au, au, au! Wenn da nicht die Leute wären, die einem zujubeln und man sich doch noch ein wenig gut fühlt, es hätten sich einige auf den Boden gesetzt und sich von Verwandten mit dem Auto abholen lassen. Aber für was hat man denn so trainiert, genau für diesen Zeitpunkt, der nach zwei oder vier Stunden dann erreicht ist: Das Ziel. Die Stopptaste auf der Uhr drücken und es ist vollbracht. Man ist ausgepumpt und abgekämpft, man wirft dem einen oder anderen Gspänli noch einen Blick zu, winkt müde, gratuliert aus der Ferne, dann aber geht es schnellstens unter die warme Dusche. Noch den Honig abholen, auch wenn es trotz gefrässiger Teenager zu Hause noch ein Gläser vom Vorjahr im Schrank hat. Der Honig muss sein! Und dann wird man von wildfremden Leuten frech belächelt, wenn man kaum mehr die Treppe hochkommt, um zum Auto zu gelangen.
Der LSV Frauenfeld hat aber wieder Grossartiges geleistet! Insgesamt haben 25 LSVler in den diversen Kategorien teilgenommen – bei Halbmarathon deshalb hier nur die Top-10 Resultate: Nicole Lohri rennt in ihrer Kategorie auf den 2. Platz mit einer Zeit von 1:24.47. Auch Christine Altorfer erreicht in der Kategorie D50 mit einer Zeit von 1:31.23 den 2. Platz. Heidi Scheuch gelang in der Kategorie D60 unter die ersten zehn, und zwar wird sie gute siebte. Der Jungbrunnen des LSV Frauenfeld Andrin Jacomet läuft bei den Junioren zusammen mit seiner Bronchitis auf den 5. Platz mit einer Zeit von 1:21,14. Auch Sämi Schmid erreicht in der Kategorie M60 einen guten 5. Rang mit einer Zeit von 1:34.41. Urs Krähenbühl erreicht den 10. Platz in der gleichen Kategorie mit einer Zeit von 1:38.00. Wer sagt dann, dass sich das harte Training im LSV nicht gelohnt hat bei den Rängen!
Die Waffenläufer erreichten ebenfalls gute Plätze. Christoph Lippuner wurde in der Kategorie M50 14. und das mit einer Zeit von 4:04.25, in derselben Kategorie wurde Andres Portner 24. mit einer Zeit von 4:25.25 und in der Kategorie M40 wurde Martin Sigg 36. mit einer Zeit von 4:33.39.
Auch die beiden zivilen Marathönler waren am Ende zufrieden mit ihrem Resultat. Thomas Widmer wurde 15. in der Kategorie M40 und hat dieses Mal endlich nicht mehr so gelitten wie in den letzten beiden Malen als unerfahrener Läufer und seine Frau konnte dieses Mal auch (fast) schmerzfrei ins Ziel, weil die Vernunft nach 40 doch hin und wieder die Unvernunft übertrifft. Und wie gut war die Erkältung schon vorher da, sonst könnten die Nichtläufer danach noch sagen, sie hätte sich wegen des Marathons so schrecklich erkältet.
Und somit neigte sich der diesjährige Frauenfelder dem Ende zu. Honig und andere Preise, Verletzungen und Blasen wurden nach Hause getragen, das Raclette Öfeli eingeheizt, Garmin Apps konsultiert, gratuliert, Pizzas verspiesen, gefeiert und gelacht. Es ist vollbracht und bereits plant man ein wenig den nächsten Frauenfelder. Welche Zeit sollte es wohl das nächste Mal sein?
mw