Bericht vom Ironman 70.3 Rapperswil-Jona 2021

Registrierung im Regen

Drei Mal wurde der Ironman 70.3 nun schon Corona bedingt verschoben. Drei Mal waren wir sogar froh darum, denn das Wetter war an drei Tagen einfach schrecklich. Der vierte Versuch wurde auf den 8. August 2021 angesetzt – da wird es ja sicher schön warm sein, der See und das Wetter. Haha! Auf jeden Fall haben wir drei vom LSV, Thomas, Yvonne und meine Wenigkeit, das Wetter mit Besorgnis studiert und als wir uns am Samstag vor der Arena in Rapperswil treffen schifft es, was es nur so kann. Wir müssen uns registrieren: Corona Check, Lizenz zeigen, einen Waver unterschreiben. (Wollen sie sich für den Slot für den Ironman New Zealand qualifizieren? Nochmals haha: Ich will eigentlich nur über die Ziellinie laufen bevor der Besenwagen kommt!) Ausgerüstet mit drei verschiedenen Plastiksäcken, der Badekappe, Nummernkleber geht es dann zum Check-in. Immer noch regnet es in Strömen, ich muss mein liebes Velo für die Nacht in der Wechselzone lassen – schluchz – und das bei dem Wetter! Die Säcke werden gut verschnürt mit allen Velo- und Laufsachen, die bleiben beim Velo. Alles organisieren kann ich es ja dann noch morgen vor dem Start. (Was ich dann natürlich nicht mache, weil ich kalt habe!) 

Übernachtung in Rapperswil

Wir drei übernachten in Rapperswil in einem Hotel. Es ist ein sehr schickes Hotel und nicht so vorbereitet für drei puddelnasse Triathleten/Triathletinnen, die Hunger haben und morgens um sechs Uhr einen Kaffee und ein Honigbrötli wollen. Der Kellner fragt sich wohl, was das soll, als wir bereits nach Dreiviertelstunden, schon wieder das Bedürfnis nach Bewegung haben und noch einen Spaziergang draussen machen. Die Abendsonne zwängt sich durch die Wolken, taucht Rapperswil und den See in ein magisches Licht. Und just dann erscheint ein riesiger, wunderschöner Regenbogen über Rapperswil und das Ende des Bogens, dort wo das Gold begraben sein soll, beleuchtet den Schwimmstart mit den Bojen. Das ist sicher ein gutes Zeichen. 

Regenbogen über der Strecke

Mästen vor dem Schlachten

Wir gehen zeitig ins Bett und schlafen natürlich sehr schlecht. Nervös sitzen wir morgens um sieben Uhr wieder im Restaurant und die Köchin, eine richtige serbische Mama macht sich Sorgen, weil wir ihrer Meinung nicht richtig essen. «Ich mache Rührei! Nehmen sie Früchte, und Müsli! Ich kann Omelett machen!» nötigt sie uns und die Vorstellung, wie ich mit einem warmen Rührei im Magen nach Goldigen hochstrample bringt mich schon zum Würgen! Wir halten es nicht lange aus und machen uns auf den Weg. Schon aus Angst, die serbische Mama kommt mit und sorgt persönlich dafür, dass wir noch anständig essen. 

Eisberg in Sicht

Es ist bedeckt, der See sieht eiskalt aus und ist es auch. 16.5 Grad! Ich erfriere! Die Nervosität und das kühle Wetter lassen mich zittern, sogar als ich im Neopren bereitstehe.  Daniela Ryff rennt bereits mit dem Velo aus der Wechselzone. Wir «Age-Grouper» verfolgen sie mit neidischen Blicken. Ist die schnell! Aber ein bisschen stolz sind wir auch auf uns selber, denn wir machen Triathlon neben unserem Beruf und der Familie. Genug blöd angeschaut werden wir dafür, wenn wir das Mittagessen sausen lassen, um noch ein Läufli oder Schwümmli reinzuquetschen oder anstatt mit dem Auto mit dem Rennvelo zum Teamanlass kommen und das Röckli über die Velohosen anziehen. Und unsere Duftnote ist nicht Chanel, sondern Chlor Nr. 1.

Warten auf den Henker

Mir ist es ist mir einfach zu kalt, ich mache mir ernsthafte Sorgen (Thomas auch, aber er sagt nichts.) Normalerweise starte ich unter solchen Bedingungen gar nicht, aber der Ironman ist einfach zu teuer, um zu klemmen, ausserdem haben Yvonne und ich so lange trainiert und ich stolziere jetzt dann schon ein halbes Jahr mit einem Rucksack herum, den ich mir noch nicht verdient habe. Thomas und Yvonne starten vor mir. Eine letzte Umarmung, gute Wünsche und meine Triathlon Freundin und Ehemann verschwinden mit ihren blauen Badekappen montiert in der Arena zum Schwimmstart. Ich stehe verloren inmitten von fremden Triathletinnen und Triathleten. Ich chatte mit meinem Cousin in Kanada und klage ihm mein Elend. Er tröstet mich. Der hat gut Reden, in Kanada leiden sie gerade unter eine Hitzewelle. Mein Start ist um 9:22. Ich sterbe vor Angst und habe bereits zu kalt – Super! Links und rechts von mir wird aber auch gejammert. Eine junge Frau zeigt mir ihre blauen Fingernägel, passend zum Dress. Ich habe meine auch lackiert – passend zum Dress. Violett. Zum Glück nicht blau, dann würde ich definitiv aussehen wie eine Wasserleiche – würde ja passen bei den Temperaturen!

1.9 km Schwimmen

Und dann geht es plötzlich schnell. Im vier Sekundentakt wird gestartet, ich bin um 9:31 dran. Rein in den See – es verschlägt mir fast den Atem, so kalt ist es. War es das? Ich fühle mich in der Gruppe jedoch wohl, endlich werde ich nicht immer von Schwimmern und Schwimmerinnen überholt und so überstehe ich den Schwumm erstaunlich gut. Bereits frierend erreiche ich das Ufer, die Helfer ziehen mich aus dem Wasser und mir wird bewusst wie kalt ich wirklich habe.

Transition 1

Ich kriege den Neo kaum auf, meine Hände scheinen eingefroren zu sein. Mit Mühe ziehe ich den Reisverschluss runter, schäle mich aus dem Teil und trockne mich ab. Weiss der Geier warum, denn es beginnt nun tatsächlich auch noch zu regnen. Ich friere und schaffe es nur langsam ein trockenes Oberteil und die Ärmlinge anzuziehen. Ganze acht Minuten verstreichen in der Wechselzone, weil ich vor Kälte nur so schlottere und mich kaum bewegen kann.

90 km Velofahren

Endlich bin ich auf dem Velo und strample los, es regnet und ich bin sofort wieder nass, es tropft unangenehm vom Helm runter, warm kriege ich natürlich nicht. Das Bild von Daniela Ryff, die einmal einen Ironman abgebrochen hat, weil sie unterkühlt war, schwebt mir im Hinterkopf herum. Bei Schmerikon steht Sandra am Rand und macht mir Mut. Sie weiss, wie es ist, wenn man dauernd friert. «Jetzt gits denn schön warm, jetzt gots ufe!» Es tut mir tatsächlich gut nach Goldingen hinaufzustrampeln, endlich taue ich etwas auf und der Regen hört auf. Jetzt kommt sicher bald die Sonne, zum Glück habe ich Sonnencreme eingestrichen. Als ich Goldingen erreiche und mich auf die Abfahrt freue, wird meine Hoffnung wieder zerschlagen. Es beginnt wieder zu regnen, die Strassen sind nass und zur Kälte kommt nun auch noch die Angst, ich könnte mit dem Velo stützen. Wenn dort nicht Evelyn gestanden und hätte mich lauthals angefeuert, ich hätte das Velo wohl an den Strassenrand gestellt und meinen Bruder angerufen, er soll mich abholen! Langsam fahre ich wieder runter. Nix mit in den Aerobars liegen und im Triathlon Style runter brechern! Auf der Strasse nach Rapperswil kommt mir Yvonne entgegen. Den Blick eisern nach vorne gerichtet, verbissen, patschnass und nur im Triathlon Dress, die Arme! Sie sieht schnell aus! Hoffentlich sehen wir uns an der Ziellinie, hoffentlich erfriere ich nicht vorher. Der Regen hört erst auf, als ich wieder in Schmerikon das zweite Mal den Anstieg nach Goldingen unter die Räder nehme. Ich bin durchnässt, habe immer noch schrecklich kalt und meine Füsse spüre ich schon lange nicht mehr. Ich tue mir unendlich leid! Immerhin habe ich keine Angst mehr, es ist mir sowas von egal, ich will nur noch zurück nach Rappi, so schnell es geht! Das viele Trainieren auf dem Velo hat doch was gebracht, ich bin längst nicht mehr so ein «Gstäbi» auf dem Velo wie ich gedacht habe. Ich trete in die Pedalen und rase hinunter, es spritzt und es kommt tatsächlich noch etwas von dem Triathlon Gefühl auf, der Wind dröhnt mir in die Ohren. Und alles tut mir weh vor Kälte. Kurz überlege ich mir, ob ich bei der Eschenbach Station bei den Samaritern vorbei soll, weil ich mir langsam Sorgen um den Zustand meiner Füsse mache, aber die würden wohl nur noch den Tod meiner Treter feststellen, mich womöglich nicht mehr weiterfahren lassen und so gibt es für mich nur noch eins: Zurück zur Wechselzone, Velo parkieren so schnell es geht! Mein Velo kann das, es ist so ein tolles Velo – ich kann das. Nach Eschenbach werde ich zuversichtlich, denn das Schlimmste ist vorbei. In voller Fahrt schnappe ich mir so eine Banane, schäle sie, stopfe sie mir fast in einem Stück in den Mund und pfeffere die Schale immer noch in voller Fahrt in die Abfallzone, wer hätte gedacht, dass ich das hinkriege, die sonst zum Trinken anhalten muss, weil sie die Flasche nicht aus der Halterung bringt. Ich überhole was ich kann, trete und komme völlig verfroren, mit schmerzendem Hintern in Rapperswil an. Ich bin so unendlich froh, ich könnte heulen! 

Transition 2

Wiederum vergehen lange fünf Minuten, bis ich mich fürs Laufen umgezogen habe, ich habe klamme Finger und eingefrorene Füsse, es fühlt sich an, als wäre ich im Bikini in eine Lawine gekommen, alles tut weh vor Kälte. Etwas essen sollte ich auch noch, und ich muss pinkeln, aber ich kriege die Velohose weder runter, geschweige wieder rauf! Also lassen wir das und gehen auf die Laufstrecke. 

20.1 km rennen

Und dann ist alles gut. Es regnet nicht mehr und ich mache das, was ich am besten kann. Ich laufe! Die Füsse tauen auf, ich fühle mich unglaublich fit. Vor Wochen hatten Yvonne und ich noch Zweifel, wie wir nach 90km Velo noch einen Halbmarathon hinlegen sollten, aber ich merke, dass es geht. An der ersten Station kippe ich eine warme Bouillon hinunter und die Lebensgeiser erwachen ganz. Im Nu habe ich die erste Runde geschafft, überhole tüchtig und in vollem Schwung geht es auf die zweite Runde. Bis zur Hälfte des Halbmarathon läuft es wie von selbst. Erst dann merke ich, dass ich schon lange unterwegs bin, nasse Kleider anhabe und das linke Knie beginnt zu zwicken. Bei der der Stampf Station hole ich mir deswegen aus dem breiten Verpflegungsmenu (Das hat es so eine Auswahl, man kann sich kaum entscheiden!) ein Koffein haltiges Gel. Oder dachte, dass ich das nehme, auf jeden Fall fühlt es sich beim Essen an, wie ein Grasfrosch und schmeckt auch so! Ich würge das glitschige Zeug hinunter, spüle mit Wasser ordentlich nach und weiter geht es. Haben die Leute hier unten nicht mitbekommen, dass es gerade drei Stunden geregnet hat? Auf jeden Fall hat es bei jeder Verpflegung Station drei bis vier Wasserduschen zum Abkühlen! Wer zum Geier läuft da jetzt freiwillig untendurch?! Ich habe die grösste Mühe daran vorbeizukommen und die Leute, die mir dabei zuschauen lachen. Nicht, dass meine Kleider trocken wären, sie sind immer noch klatschnass, aber ich will sicher nicht nochmals in den Regen kommen, künstlich oder natürlich. Das Koffein tut die erwartete Wirkung und Miri hat wieder Pfupf für die letzte Runde.

Letzte Runde

Ein kurzer Blick in die Abzweigung, die ich beim nächsten Mal nehmen kann, der rote Teppich ist nahe! Ich heule jetzt schon fast, wenn ich daran denke. Aber es ist und bleibt ein Ironman: Man muss sich das verdienen, wie es so schön auf dem Schild bei Kilometer 15 steht: It’s not going to be easy! Auch bei mir nicht. Das Knie zwickt und zwickt und dann beginnt es weh zu tun. Nochmals eine warme Brühe (die inzwischen kalt ist), nochmals ein Grasfrosch Gel, ein Power Riegel, an dem ich fast ersticke. Aber nichts will so recht nützen, jetzt ist die Energie definitiv aufgebraucht. Ich habe Seitenstechen und irgendwie ist mein Magen auch nicht mehr so glücklich, zu viel komisches Zeug habe ich in den letzten 6 Stunden gegessen. Aber ich will auf diesen roten Teppich und ich will unbedingt gut aussehen, wenn ich da drüber laufe! Von mir gibt es schon genug peinliche Läuferfotos, dieses hier muss gut aussehen, teuer genug war es. (Hat Daniela Ryff wohl auch solche Gedanken, oder wie macht sie das jeweils so?) Ein dritter Grasfrosch und ein wenig gehen, damit ich laufend ins Ziel kann.

Im Ziel

Dann geht es um die letzte Kurve, ich zähle die Meter buchstäblich hinunter, die Abzweigung winkt, ich höre, wie mein Zieleinlauf angekündigt wird, irgendwo in mir drin wird das letzte Energiebüschel hervorgezaubert und ich begebe mich auf die letzten Meter, von denen Yvonne und ich nun so lange geträumt haben. Hinter dem Ziel winkt Thomas, ich winke auch, merke, wie mir vor Erleichterung die Tränen hochkriechen. Und so laufe ich ins Ziel, direkt in die Arme von Thomas, der froh ist, dass seine Frau auf der Radstrecke nicht erfroren ist. Es ist geschafft! Ich kriege eine dieser raschelnden Wärmedecken und habe endlich wieder warm, jemand hängt mir eine Medaille über und dann gehe ich auf die Suche nach der Person, mit der ich über ein Jahr trainiert und diesen Moment in allen Farben vorgestellt habe. Sie steht direkt hinter der Absperrung nach dem Zieleinlauf. Yvonne und ich fallen uns in die Arme und geniessen den Moment. Endlich, endlich, endlich….. Können wir mit dem Rucksack angeben! 

Die Wärmedecke gibt mir zwar warm, aber ich stelle auch fest, dass ich klatschnass bin und stinke. Und so begebe ich mich zur Umkleide, um meine Streetbag zu holen. Auf dem Handy sind mehrere WhatsApp Nachrichten, unter anderem von meinem Cousin in Kanada, der extra früh aufgestanden ist, um mitzufiebern. Er freut sich mit mir.  

Zusammenpacken

Dann geht es zu dritt zurück zur Wechselzone, wir holen unsere Velos und die Säcke mit dem nassen Zeugs drin und machen uns auf den Heimweg. Kurz hinter dem Check-Out warten Yvonnes Ehemann und der Sohn. Der Stolz über die fitte Mama und Ehefrau ist beiden übers Gesicht geschrieben. Ich bin fast ein wenig neidisch, meine Söhne haben gestern nur gefragt, wann wir endlich gehen – wahrscheinlich haben sie eine Party geplant. Der Ehemann nimmt der Frau die Säcke ab, der Sohn übernimmt das Velo. Da dieser fast zwei Meter hoch ist, sieht es aus, als würde er ein Velöli mit Stützrädli fahren, es sieht lustig aus. Aber beide haben die Mama/Frau immer im Blick, besorgt, ob sie nicht gleich umfällt – stolz, weil sie es nicht tut.  

Müde geht es zum Auto, dort gibt es nochmals ein Schlussfoto, Yvonne findet einen Sack Chips, davon wird noch eine Handvoll in den Mund gestopft und dann geht es nach Hause. Nudeln essen, schlafen, die Beine hochlagern oder einfach mal trockene Kleider anziehen und warm haben. Den Triumph geniessen, den Moment auf dem roten Teppich nochmals durchleben, froh sein, dass es vorbei ist, sich vornehmen, nie wieder so etwas zu machen. Wer weiss. Irgendwie würde es mich noch reizen, einmal im Meer zu schwimmen, das habe ich noch nie gemacht…Noosa oder so, gibt es dort nicht auch einen Ironman?…Dort ist es warm, aber es hat Quallen und Haie…. Das wäre doch mal was! In einem LSV Bericht sind noch nie Quallen und Haie vorgekommen. 

Bericht: Miriam Widmer